Was «Mathe macht Musik» will und wie es dazu kam«Musik ist eine arithmetische Tätigkeit des Geistes, dem verborgen bleibt, dass er dabei in Zahlen denkt.» Gottfried Wilhelm von Leibniz (17. Jh.) Musik und Mathematik werden seit der Antike immer wieder als wunderbares Paar beschrieben. Die glückliche Beziehung zwischen den beiden Disziplinen wurde jedoch bisher weder mit der Grundschulmathematik noch mit den Inhalten des Musikunterrichts auf der Volksschule in Verbindung gebracht. Gegenstand der interdisziplinären Auseinandersetzung waren vielmehr Fragen zur Obertonreihe, zur Akustik und seit einigen Jahren zur Digitalisierung von Klängen oder die Diskussion um musikalische Stimmungen und um die mathematische Fassbarkeit von Komposition und Interpretation. Die damit befassten Bereiche der Physik, der Stochastik, der Kombinatorik und der Informatik haben wenig gemeinsam mit dem Curriculum der Volksschule. Es kann deshalb nicht überraschen, wenn sich der Anstoss zum Lehrmittelprojekt «Musik zum Zahlenbuch» nicht aus dieser alten Verwandtschaft der beiden Disziplinen entwickelte, sondern aus der Beobachtung lernender Kinder und aus gelungenem Unterricht. Gestützt und gefördert wurden diese Beobachtungen durch den von Howard Gardner 1983 formulierten multiplen Intelligenzbegriff und das darauf basierende zeichentheoretisch orientierte Verständnis von Musikunterricht. Erfahrungen im UnterrichtAusgehend von den Erfahrungen mit dem Projekt «Erweiterter Musikunterricht» wurde in der Arbeit mit den beteiligten Schulklassen sehr bald klar, dass sich durch die modifizierte Stundentafel auch ausserhalb des Musikunterrichtes einiges verändert. Die intensive Beschäftigung mit Musik drängte bald aus ihren Fachgrenzen hinaus und die musikalische Perspektive offerierte im Sprach, im Sach und im Mathematikunterricht interessante Arbeitsweisen und Problemstellungen oder, umgekehrt gesagt, wir beobachteten, dass viele schulische Inhalte und Methoden in ihren Grundlagen voller Musik stecken. Für das Verständnis von fächerübergreifendem Unterricht zeigt sich, dass, neben den (interdisziplinären) Themen, die gleichsam zwischen den Fächern liegen, gerade auch Aktivitäten wichtig sind, welche die eigentliche disziplinäre Arbeit aus anderen Fachperspektiven beleuchten und erkunden (transdisziplinäres Denken und Handeln). Die Umsetzung dieser Entdeckung nannten wir «Musik als Unterrichtsprinzip». Unterricht mit viel Musik wurde damit unabhängig von Stundentafeländerungen und für alle interessierten Lehrpersonen zugänglich. In der praktischen Arbeit mit vielen Schulklassen zeigt sich seither, dass die elementaren Verbindungen zwischen Mathematik und Musikunterricht erlebnisorientiertes, entdeckendes und lustbetontes Lernen und Lehren in vielfältiger Weise bereichern. Neue MathematikdidaktikDie Mathematikdidaktik ihrerseits hat sich seit dem Beginn der Neunzigerjahre (in den USA seit den Siebzigerjahren) in Richtung von John Deweys (1859–1952) Konzept des aktiventdeckenden Lernens entwickelt. Im Zuge dieser Neuausrichtung werden Standorte und Denkwege der Kinder zunehmend ernst genommen und ganzheitliche, kontextgebundene Zugänge zu den Lerninhalten postuliert. Mit zu diesem Wandel gehören die Konzentration auf die Grundideen der Arithmetik und der Geometrie und die Abkehr vom kleinschrittig vermittelnden Unterricht zugunsten inhaltlicher Ganzheit der Lernsituationen. Aus diesem Verständnis heraus werden auch die Mittel und Wege der Veranschaulichung grundlegend thematisiert. Der Weg von der Wahrnehmung zu mentalen Vorstellungsbildern wird als ideosynkratischer (vom Individuum abhängiger) Konstruktionsprozess verstanden, welcher bewusst individuelle Interpretationsweisen und differente Lösungswege in Kauf nimmt. Als Anschauungsmittel werden unterschiedliche grafische Darstellungen und spezielle Materialien eingeführt, die eine ganze Reihe von Kriterien erfüllen sollen, z.B.
Neu entdeckte WerkzeugeKlang und Bewegung erfüllen diese Kriterien in einem hohen Mass. Dass sie als Arbeits und Anschauungsmittel – als Werkzeuge des Lehrens und Lernens – bis anhin kaum angeregt wurden, liegt an der fehlenden Tradition des entsprechenden Zuganges. Wenn sie bisher in den Lehrwerken vorkommen, dann werden entsprechende Handlungsformen ziemlich zufällig – ab und zu – und meist im Sinn von Auflockerung oder Dekoration eingesetzt. Oft wird dieses Defizit von musikbegeisterten Lehrpersonen durch phantasievollen Unterricht und methodisches Geschick teilweise aufgewogen. Doch lässt sich die Beschränkung der Lehrmittel auf verbale, visuelle, haptische und mathematischabstrakte Zugänge dadurch nicht begründen; akustische (Klang), kinästhetische (Bewegung) und taktile (Berührung) Erfahrungen, insbesondere im Handeln und Erleben der Kinder im Grundschulalter, haben dazu einen zu hohen Stellenwert. Durch den Einbezug dieser Erfahrungswelten in den Mathematikunterricht können wichtige aktive Lernwege der Kinder für den Unterricht zugänglich gemacht werden und gleichzeitig wird das Verständnis der Lehrpersonen für unerwartete Denkwege der Lernenden gefördert. Mathe macht MusikDer vorliegende Band «Mathe macht Musik» will mithelfen, die Klang und Bewegungszugänge in der Mathematik zu kultivieren und den Musikunterricht zu bereichern. Zu den konkreten mathematischen Themenkreisen der Zahlenbücher wie «Muster und Ordnungen», «Zahlraum und Zahlbegriff», «Längen in Raum und Zeit», «Addition und Subtraktion», «Würfeln», «Zehnerbündelung», «Zahlenreihe», «Sachrechnen mit Geld», «Formen in der Umwelt», «Zeit» oder «Reihen» werden Übungsideen und Impulse zu einer musikalischen Umsetzung aufgezeigt. Wahrnehmungsspiele, Bewegungsanleitungen, Lieder, Rhythmusspiele, Konzentrationsaufgaben, Beobachtungsaufgaben und Kreativitätsübungen sollen dazu dienen, das musikalische Potenzial fächerübergreifend zu nutzen und gleichzeitig eine positive Lernatmosphäre aufzubauen. Nicht zuletzt unterstützt ein solcher Unterricht den unverkrampften Zugang der Kinder zur Musik und zu transdisziplinärem Denken und Handeln. Viele der vorgeschlagenen musikalischen Impulse zu mathematischen Themenkreisen und viele der musikalischen Übungen und Anwendungen mathematischer Fragestellungen sind für sich gesehen nicht spektakulär und sie bedürfen auch nicht einer ausserordentlichen Musikalität der Lehrpersonen. Die Wirkung ihres konsequenten Einsatzes bei einzelnen Kindern und auf die Klasse als Ganzes, insbesondere auch auf das Lernklima und die Motivation, ist jedoch bemerkenswert. Durch ihr musikalisches Potenzial macht das Spiel mit den Impulsen immer wieder Spass. Die damit angeregten mathematischen und musikalischen Übungs und Automatisierungsprozesse lassen sich oft auch mit den Aufgaben in den Blitzrechenkursen verbinden. |